cover_imageClérambault

von Romain Rolland

Geschichte eines freien Gewissens im Kriege

Auch »Clerambault« ist ebensowenig wie der Johann Christof, was man einen »Roman« nennt, er ist wie jener weniger und unendlich viel mehr. »Clerambault« ist ein Entwicklungsroman, aber nicht der eines Menschen, sondern einer Idee: der gleiche künstlerische Prozeß wie im Johann Christof gestaltet vor uns eine Weltanschauung nicht schon als etwas Fertiges, Abgeschlossenes und Gegebenes. Stufe um Stufe aus dem Irrtum und der Schwäche steigen wir mit einem Menschen zur Klarheit empor. In gewissem Sinne ist es ein religiöses Buch, die Geschichte einer Umkehr, einer Erleuchtung, die moderne Heiligenlegende eines sehr einfachen bürgerlichen Menschen, oder eigentlich, wie der Titel sagt, die Geschichte eines Gewissens. Auch hier ist Freiheit der letzte Sinn, die Einkehr in sich selbst, aber ins Heroische dadurch erhoben, daß Erkenntnis Tat wird. Und die Szene der Tragödie ist ganz innen in einem Menschen, im Unzugänglichsten seines Wesens, wo er allein ist mit der Wahrheit. Darum fehlt auch diesem Roman der Gegenspieler, der Olivier des Johann Christof, ja selbst der eigentliche Gegenspieler jenes Werkes: das äußere Leben. Der Gegenspieler Clerambaults, der Feind ist er selbst: der alte, der frühere, der schwache Clerambault, den der neue, der wissende, der wahre Mensch erst niederringen muß; sein Heroismus spielt nicht gegen die sichtbare Welt wie jener Johann Christofs, sondern im unsichtbaren Raum der Gedanken. (Stefan Zweig)

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